Eissmann Gruppe will sich im Insolvenzverfahren sanieren
Die Geschäftsführung des schwäbischen Autozulieferers Eissmann Group hat beim Amtsgericht Tübingen Insolvenz für die Holdinggesellschaft beantragt. Gleichzeitig wurde für zwei deutsche Tochterunternehmen der Gruppe Regelinsolvenz beantragt. Der Geschäftsbetrieb am Hauptsitz in Bad Urach sowie bei den Töchtern in Gera und Pirna solle so reibungslos wie möglich fortgeführt werden, so das Unternehmen.
Die Gruppe soll mithilfe des vorläufigen Insolvenzverwalters Holger Leichtle (Görg) saniert werden. Die bisherigen Maßnahmen hätten Rezession, gestiegene Energie- und Materialkosten sowie die gestiegenen Zinsen nicht ausgleichen können. Eine Entspannung sei nicht in Sicht, so Eissmann. Rund 1.000 Beschäftigte sind an den drei Standorten betroffen. Der Unternehmensberater Marc Trösser soll das Verfahren als Chief Restructuring Officer (CRO) unterstützen, teilte die Gruppe mit.
Die Eissmann-Gruppe beliefert weltweit Autohersteller mit Komponenten für die Innenausstattung von Fahrzeugen. Gegründet wurde das Unternehmen 1964. Weltweit sind rund 5.000 Mitarbeitende beschäftigt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschaftete die Gruppe den Angaben zufolge 450 Millionen Euro. Die Gesellschaften und Standorte außerhalb Deutschlands seien von den beantragten Verfahren nicht betroffen.
Ein Meilenstein: Drei Jahre Starug
Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Starug), das im Januar 2021 in Kraft trat, hat sich inzwischen als wichtiges Instrument zur Rettung von Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten etabliert. Es ermöglicht betroffenen Unternehmen, auch ohne gerichtliches Insolvenzverfahren eine Sanierung anzustreben. Marlies Raschke, Rechtsanwältin und Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses der ARGE Insolvenzrecht & Sanierung, betont die Anpassungsfähigkeit und Kosteneffizienz des Starug im Vergleich zur Insolvenz.
Das rheinland-pfälzische Zentrum für Insolvenzrecht und Sanierungspraxis (ZEFIS), Rechtsanwalt Olaf Spiekermann (Brinkmann & Partner) sowie Indat haben die gerichtlichen Fälle der vergangenen drei Jahre analysiert und festgestellt, dass es bereits 2023 doppelt so viele Restrukturierungsverfahren gab wie im Vorjahr. Dies unterstreiche die zunehmende Bedeutung des Starug als Mittel zur Wiederherstellung der finanziellen Stabilität von Unternehmen.
Raschke hebt die Flexibilität des Starug hervor, die es Beratern ermöglicht, maßgeschneiderte Lösungen zu finden. Sie weist darauf hin, dass die weitere praktische Anwendung des Instruments zeigen wird, inwieweit Anpassungen erforderlich sind, um die Interessen sämtlicher Stakeholder angemessen zu berücksichtigen.
Helma Eigenbau schlittert in die Insolvenz
Trotz der im Dezember vereinbarten Sanierung und der schon seit Sommer laufenden finanziellen Restrukturierung ist Helma Eigenbau, ein Anbieter von Massivhäusern, in die Zahlungsunfähigkeit geraten. Ungewöhnlich ist, dass der Aufsichtsrat am Montag am Amtsgericht Gifhorn Insolvenz angemeldet hat, nicht der Vorstand. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde Manuel Sack (Brinkmann & Partner) bestellt.
Ein Kurssturz am Montagabend war die logische Folge. Nach Unternehmensangaben hat Helma im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatz in Höhe von 125,7 Millionen Euro erwirtschaftet und damit deutlich weniger als im Vorjahreszeitraum mit 169,2 Millionen Euro. Gleichzeitig verbuchte das Unternehmen einen Verlust (Ebit) von 23,6 Millionen Euro.
Interboden schickt mehrere Gesellschaften in die Insolvenz
Die seit 1950 inhabergeführte Firmengruppe Interboden befindet sich seit Anfang Februar mit mehreren Gesellschaften in einem Insolvenzverfahren: Neben der Holding sind die Tochtergesellschaften Interboden Lebenswelten und Interboden Gewerbewelten betroffen, für beide Töchter wurde Uwe Paul (Pluta) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Für die Holding agiert er als vorläufige Sachwalter. Die Dachgesellschaft wird von den Sanierungsexperten von ATN Rechtsanwälte unterstützt.
Das in der dritten Generation geführte Unternehmen ist spezialisiert auf Gewerbe- und Quartiersentwicklungen mit einem Mix aus Wohnen, Arbeiten, Handel, Dienstleistung und Gastronomie. „Das Ziel ist, einen Investor für die gesamte Gruppe zu finden“, so Rechtsanwalt Oliver Westkamp (Pluta), der zum Team des Insolvenzverwalters gehört.
Weitere Insolvenz- und Sanierungsverfahren
Die börsengelistete Branicks Group gab am Dienstag bekannt, dass sie aufgrund einer angestrebten Verlängerung ihrer 2024 fälligen Schuldscheindarlehen in Höhe von 225 Millionen Euro ein Starug-Verfahren anstrebt. Der Vorstand hat sich zu seinem Vorhaben von FTI Andersch beraten lassen.
Der Gienanth-Standort Eisenberg folgt künftig einem Sozialplan. Diesen haben Betriebsrat und Geschäftsführung mitsamt einem Interessensausgleich vereinbart. 100 Beschäftigten wurde zum Juni gekündigt. Bis dahin arbeiten sie regulär zur vollen Vergütung weiter. Gienanth-Geschäftsführer Torsten Stein betont die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen und die Notwendigkeit der Maßnahmen für die Sanierungsperspektive. Generalbevollmächtigter für die Gienanth-Gruppe ist Jürgen Erbe (Schultze & Braun).
Der Präzisionsstanzteile-Hersteller Boes sucht einen Investor. Ende Januar startete für den metallverarbeitenden Mittelständler die vorläufige Insolvenzverwaltung. Tobias Wahl (Anchor) ist zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Er hat mit seinem Team und der Geschäftsführung bereits den Geschäftsbetrieb mit rund 55 Mitarbeitenden nach eigenen Angaben stabilisiert und durch Gespräche mit Kunden und Lieferanten die Fortführung sowie die Produktion durch aktuelle Aufträge gesichert. Derzeit läuft der M&A-Prozess, den Benten Capital orchestriert.
Die Eigentümerin des ehemaligen Hertie-Warenhauses in Neustadt, EKZ Neustadt Weinstraße, hat Insolvenz angemeldet. Als Gründe werden unterwartete Entwicklungen bei der Sanierung und dem Umbau der Immobilie sowie schwierige Marktumstände für Immobilienprojektentwickler genannt. Damit ist eine weitere Gesellschaft der Devello-Immobilien-Gruppe in die Insolvenz geschlittert. Seit Ende Februar ist Vanja Alexander Kovacev (BBL Law) als vorläufiger Insolvenzverwalter tätig. Er prüft derzeit die Sanierungsoptionen und hat einen Investorenprozess gestartet.
Das Rodgauer Unternehmen Friedrich Henkel Feinmechanik will sich in einem Insolvenzverfahren sanieren. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde Sebastian Netzel (Brinkmann & Partner) bestellt. Die Fortführung des Unternehmens sieht er derzeit nicht gefährdet. Zuletzt hatte dieses noch erheblich in den eigenen Maschinenpark investiert.
Kurt Erxleben, ein Spezialist für Umformtechnik in der Automobilindustrie, hat Mitte Februar Eigenverwaltung beantragt. Die Restrukturierung wird von Christian Kaufmann (Pluta) als Generalhandlungsbevollmächtigter unterstützt. Zum vorläufigen Sachwalter wurde Martin Mucha (Grub Brugger) bestellt. Für die 160 Beschäftigten sowie rund 100 Leiharbeitskräfte läuft der Geschäftsbetrieb uneingeschränkt weiter. Hohe Kosten sowie der Wandel der Mobilitätsbranche führten zur Insolvenz.
Schlechte Nachrichten von Mycs: Der Berliner Online-Möbelhändler, der seit Juli 2022 zur Kölner Private-Equity-Firma Equivia Partners gehört, musste gestern beim Amtsgericht Charlottenburg Insolvenzantrag stellen. Zum Insolvenzverwalter wurde der Rechtsanwalt Jesko Stark (GT Restructuring) bestellt. Mycs wurde 2014 in Berlin gegründet.
Distressed M&A
Die Pflegegruppe Levantus wurde erfolgreich verkauft. Insolvenzverwalter Bero-Alexander Lau (White & Case) hat den Großteil der Geschäftsbetriebe zum März an diverse Wettbewerber veräußert. Betroffen waren die Pflegeeinrichtungen in Bad Bergzabern, Bad Segeberg, Oslebshausen, Neuenhagen, Rotenburg, Velbert und Wittmund. Die rund 600 Arbeitsplätze konnten dadurch erhalten bleiben. Die Levantus-Gruppe hatte im Dezember 2023 Insolvenzanträge gestellt, und die Insolvenzverfahren wurden zum März eröffnet. Das White & Case Team wurde von Falkensteg Corporate Finance und Lambrecht unterstützt.
Beendete Insolvenz- und Sanierungsverfahren
Der Spielwaren- und Möbelhersteller Haba hat zum März sein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beendet. Martin Mucha (Grub Brugger) war als Generalbevollmächtigter in der Eigenverwaltung eingesetzt. Unter dem Sanierungskonzept ‚Zukunftspakt 2023‘ hat Haba sein Sortiment fokussiert, allerdings auch Arbeitsplätze gestrichen und Töchter eingestellt. Künftig wird die Geschäftsführung neben der Gesellschafterfamilie Habermaass um die Geschäftsführer Mario Wilhelm und Stefanie Frieß ergänzt. Sie werden von dem externen Sanierungsexperten Marcus Katholing (Pluta) unterstützt.
Weitere Restrukturierungen und Branchen-News
Gute Nachrichten für den Uhinger Standort der insolventen Allgaier Automotive. Die Verhandlungen zwischen den Hauptkunden und ihrem Insolvenzverwalter Michael Pluta (Pluta) haben nach seinen Angaben zu neuen Vereinbarungen über die nächsten zwei Jahre geführt. In den kommenden Wochen sollen die Abrufaufträge mit den Kunden im Detail verhandelt werden, um die künftige Personalstärke in der Produktion zu planen, so Pluta. Das Unternehmen prüft mit Wirtschaftsprüfer Bernd Richter (Pluta) darüber hinaus, wie es seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen kann, um daraus ein Zukunftskonzept zu erarbeiten. Derzeit beschäftigt das Unternehmen rund 730 Mitarbeitende in Baden-Württemberg. Seit Juni 2023 befindet sich das Unternehmen in der Insolvenz.
Der Distress Alert von Alvarez & Marsal zeigt, dass Deutschland der am meisten belasteten Markt in Europa ist. Mit einem Anstieg auf 15 Prozent verzeichnet Deutschland den höchsten Anstieg an finanziellen Notlagen in Europa, was im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme von 6 Prozentpunkten bedeutet. In dem Ergebnis spiegele sich die aktuelle Rezession wider, die Deutschland als einziges Land in Europa erlebt.
Die neuesten Restrukturierer-Personalien
Die US-Kanzlei Milbank wächst in München mit der Restrukturiererin Marlene Ruf. Sie kommt von Kirkland & Ellis und tritt der Sozietät als Partnerin bei. Ruf ist spezialisiert auf grenzüberschreitende finanzielle Restrukturierungen. Zu ihren bekanntesten Mandaten zählt etwa die Beratung eines Kreditgeberkonsortiums von Leoni oder eine Gruppe von Anleihegläubigern bei der finanziellen Restrukturierung von Löwenplay.
Norton Rose Fulbright stärkt ihre Restrukturierungspraxis ab März mit dem Zugang von Daniel Arends. Er kommt von Brinkmann & Partner und steigt als Counsel im Hamburger Büro ein. Der 39-Jährige war zuvor für Freshfields Bruckhaus Deringer und Linklaters als Rechtsanwalt tätig. Für die Kanzlei ist der Zugang von Arends bereits die zweite Verstärkung der Restrukturierungspraxis im Frühjahr 2024. Zuvor war Martina Rabe als Senior Consultant in das Münchner Büro der Kanzlei eingestiegen.
Pluta Management wächst im Bereich M&A-Transaktionen. Zum März ist Nikolaus Röver als neuer Partner gestartet. Der erfahrene M&A- und Sanierungsexperte sowie ehemalige Managing Partner und Co-Head des Bereichs Distressed M&A und Restrukturierung der Investmentbank Acxit Capital Partners (heute Teil der NYSE gelisteten Investmentbank Stifel Financial) kommt von Falkensteg und wird den Bereich M&A-Transactions verantworten.
Info
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Esra Laubach ist Redakteurin bei FINANCE und widmet sich schwerpunktmäßig den Themen Transformation, Restrukturierung und Recht. Sie ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin. Vor FINANCE war sie rund fünf Jahre als Legal-Journalistin für den JUVE Verlag in Köln tätig, wo sie auch ihr journalistisches Volontariat absolvierte. Esra Laubach arbeitete während ihres Studiums multimedial u.a. für das ARD-Morgenmagazin, mehrere Zeitungen und moderierte beim Hochschulradio Kölncampus.